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Augenblicksglück am Ammersee

Veröffentlicht am 09.10.2015

Sie stehen stramm, die weißen Wächter der Veranda. Hocherhobenen Hauptes, die  Arme ordentlich  an den Stangenleib gelegt, verharren sie unbeweglich. Die kreisförmig angelegten Augen erfassen im Rundumblick jede Situation.
Nichts entgeht ihnen.

Sie beobachten den Garten, die Holz- und Glasfassaden des Hauses, die Schreiberinnen, die sich drinnen und draußen niedergelassen haben und die Nachbarschaft.
Nichts entgeht ihnen.
Die glatte Oberfläche der Verglasung verschafft ihnen eine mehrdimensionale Betrachtungsweise, der sich darin spiegelnden Objekte und Personen.Aufmerksam beäugen sie die Vorgänge im Hausinnern, ohne je ein Wort darüber zu verlieren. Sie garantieren Diskretion und Loyalität.
Nichts entgeht ihnen.
Die zum See hin ausgerichteten Augen blicken auf das von den Wellen getriebene, blaugraue Gewässer, eingerahmt von den noch in sattem Grün stehenden Bäumen. Die Münder weit aufgerissen, mit stummen Schrei, erwarten die weißen Wächter den Herbst.

Doris Kronawitter

 

Wurzelholz

"Wie alt bist du denn und wie heißt du denn?", fragte die kleine goldbraune Libelle mit sanfter, leiser Stimme und ihre Flügelchen surrten vor Neugier nicht 1000 mal pro Minute sondern 1010 mal, während sie sich bemühte, ihre Position in der Luft nicht zu verändern, damit es aussah, als würde sie wie auf Beinen stehen oder an einem unsichtbaren Faden vom Himmel herunter hängen.
Er lag nur da, auf der Seite, wie schon so lange. Er bewegte sich nicht, er fühlte nichts, er hörte nichts, lag nur so da, auf seiner linken Seite.
Nein, das stimmte so nicht!
Es dauerte nur lange, sehr lange, bis dieses Surren und Piepsen von seinen Riesenohrmuscheln über die Gehörknöchelchen, über Nervenbahnen und Leitungen, Schwellen und Synapsen überwindend,  in dem Teil seines Gehirns ankamen, zu dem früher, in seinem aktiven Leben, schnurgerade Autobahnen geführt hatten, aber jetzt nur noch ein seit Jahrtausenden nicht mehr begangener Trampelpfad.
Langsam dämmerte ihm: "Da sprach etwas zu ihm! Wie war das möglich?"
Er war doch damals, als die kleinen schrecklichen Menschen auf ihn Jagd gemacht hatten, in wilder Panik in den Sumpf geraten, seine Verfolger hatten mit Brandfackeln nach ihm geworfen, so dass sein wundervoller Rüssel, das Zeichen seiner Männlichkeit und Potenz, schmerzhaft verbrannt, fast schwarz, seelenlos vor seinem Maul baumelte.
Träumte er?
War das ein Wunder?
Gab es die Wiedergeburt?
In dieser Blitzhundertstelsekunde wollte er alles wissen.
Doch da hörte er wieder: "Wie alt bist du denn und wie heißt du?"
Er öffnete sein rechtes Auge, das eine,  auf dem er nicht lag, vorsichtig, wie zur Probe. Er sah, dass keine Gefahr von diesem durchsichtigen Etwas über seinem Gesicht ausging und hoffte, dass seine Stimme, die so lange nicht gebraucht worden war, funktionieren würde.
"Uralt! Machmuuhht!"
Wie nach einem unbändigen Kraftakt schloss er sein rechtes Auge, atmete aus und lag da.

Hildegard Frank

 

 

Fernweh

Ich sitze auf meiner Bank am Ufer des Ammersees.  Heute scheint mir die Sonne nicht ins Gesicht, der graue Wind weht kühl und grau durch mein Haar. Ich schaue sehnsuchtsvoll hinüber zum Boot mit der blauen Persenning.  Der Rumpf aus Mahagoniholz lugt frech und neugierig darunter hervor.  Die Planken sind ein wenig in die Jahre gekommen und hier und dort zeigen sich Kratzer und Abschürfungen.
Das kleine Segelboot ruft mir zu, als könne es meine Gedanken lesen:  „Ich bin zwar wie du schon ein wenig in die Jahre gekommen, aber für die weitere Lebensreise noch fit."  Ich schaue über das vom Wind gekräuselte Wasser.  „Möchtest du deinem Namen alle Ehre machen und wie die Piraten über die Meere segeln?"
Die Wanten klatschen im Wind an den Mast, ungeduldig und voller Tatendrang.  An der Leine liegt der kleine Segler, fest angebunden.  Kein fröhliches Gleiten über die Wellen auf dem Meer, keine Abenteuer, die es zu bestehen gilt.  Auf kleinen Wellen, hellgraue Hügel und Täler, die sich hoch wölben und wieder abfallen, tänzelt das Boot unruhig, reißt an der Ankerketten und möchte sich aus der Gefangenschaft des Ammersees befreien.
Das Fähnchen oben am Mast zeigt den Weg. Von Osten kommt die Brise und mit dem Wind von achtern kann der tapfere „Pirat“ nach Westen segeln, in seinen Träumen den Atlantik überqueren, in der Karibik seine echten Namensvetter treffen. Auf dem Ammersee gefangen, bleibt es ein Traum.  Ich begleite seine Gedanken und spüre wärmende Sonnenstrahlen auf meinem Gesicht, höre das Plätschern der Wellen am Ufer, sehe Palmen am Strand und azurblaues Meer.
Die ersten Regentropfen reißen mich aus meiner Fantasiewelt  in die kalte Wirklichkeit zurück und erinnern mich an den Heimweg.  „Good-bye kleiner Pirat!", rufe ich ihm zu. „Mast und Schotbruch“! Eines Tages wird es für dich heißen: „Leinen los“ und der Fernwehwind wird mit dir in die weite Welt segeln, da bin ich mir sicher.

Christine Fischer

 

Die Texte entstanden während des Schreibwochenendes am Ammersee 2015 „LebensBilder“.

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