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Corona-Krimi II: Schachmatt

Veröffentlicht am 07.08.2020

Noch ein Reihum-Krimi aus der Corona-Zeit macht deutlich: die Fantasie der Schreibfrauen konnte nicht ausgesperrt werden, sondern brach sich wild und ungezügelt Bahn in diesem Corona-Krimi.

Steffi starrte durch die Fensterscheibe. Ihre Augen versuchten,  die tintige Schwärze des U-Bahn-Tunnels zu durchdringen. Da drinnen schienen Raum und Zeit still zu stehen, während die Bahn, in der sie saß, gleichmütig weiterratterte. Tamtatamtatamtatatam. "Nächster Halt Bahnhof Zoologischer Garten", näselte  die  Frauenstimme aus dem Lautsprecher. Menschen quollen hinaus, andere herein, es roch nach Pfeifentabak und Zwiebeln, Vanille und frischem Schweiß.

Ein schwergewichtiger alter Mann machte sich neben ihr breit, ihr gegenüber saßen drei Jugendliche mit roten Käppis, die beinahe zärtlich über ihre Smartphones wischten und keinen Blick für sie übrig hatten. Steffi war es recht, sie war hundemüde von der Arbeit, bei der sie sich jede Minute mit Menschen beschäftigen musste: kleinen und großen, dicken und dünnen, allesamt körperlich beeinträchtigt, versehrt, verwundet an Körper und Seele. Viele einsam, manche liebenswert, alle bedürftig nach Gesprächen, nach einem guten Wort, einem sanftem Streicheln der ambulanten Krankenpflegerin.

Steffi schloss die Augen, wie freute sie sich auf ihre Wohnung, auf dieses weiche Nest, das sie sich gebaut hatte. Mit Kissen und Überwürfen in warmen Farben, mit kleinen Buddhas im Bad, Kerzen in filigranen Ständern und afrikanischen Holzmasken. Sie würde erst einmal eine heiße Dusche nehmen, sich dann einen Granatapfeltee gönnen und die Ruhe genießen. Vielleicht ein Eis auf dem Balkon schlecken und den Blick über das frische Grün des Grases gleiten lassen, in dem erste blaue Krokusse  sprossen. Die Farben des Frühlings hübschten den schäbigen kleinen Hinterhof mit dem handtuchgroßen Gärtchen mitten im Prenzlauer Berg auf.

So versunken war sie, dass die Durchsage sie wie ein sanfter Schlag auf die Schulter traf: "Nächster Halt Ernst Reuter Platz". Eilig packte sie ihre Tasche und stieß, schob und drängelte mit anderen, die sich ebenso durch die Menge wartender Menschen wühlte, aus der Tür hinaus.

"Mensch, Steffi, gut,  dass ich dich treffe!", riss sie eine laute Stimme zurück. Sie drehte sich inmitten der Menge, die zum Ausgang strebte,  um und riss überrascht die Augen auf.

Das hatte noch gefehlt. Claudia, ihre Kollegin aus der Nachtschicht, sah sie mit großen Augen an und winkte ihr zu. Hätte sie sich doch in ein anderes Abteil gesetzt! Jetzt hatte sie sie bereits gesehen. Wenn Steffi jetzt ausstieg, erfuhr Claudia, wo sie wohnte und das musste sie auf jeden Fall verhindern. Sie blieb stehen und kniff die Augen zusammen, atmete tief ein. In Gedanken verabschiedete sie sich von ihrem Feierabend zwischen weichen Kissen und einem Gläschen Rotwein.

„Ich muss dich sprechen, du hast doch Zeit!?“, rief ihr die Kollegin über die Köpfe der gedrängt stehenden Mitfahrer entgegen. Diese versuchten angestrengt ins Nichts zu starren. Das war jedoch nicht so einfach, denn die Stimme Claudias war laut und drängend, wie die eines Schuldirektors in Hochform. Auch Steffi zuckte zusammen. Alles in ihr sträubte sich gegen die diese Frau. Ihre Nackenhaare stellten sich auf, ihr wurde flau im Magen. Die Hände, mit denen sie sich gerade noch an den Stangen der U-Bahn festgehalten hatte, wurden feucht und kalt.

Sie würde ihr jetzt nicht entkommen. Die Leute drängten sich an Steffi vorbei, um rechtzeitig nach draußen zu kommen. Gleichzeitig gaben sie mehr Raum zwischen ihr und der kühnen Blondine frei. Gewiss, Steffi konnte auch einfach ruhig bleiben und abwarten, was Claudia von ihr wissen wollte. Jedoch war die Gefahr groß, dass Claudia die richtige Frage stellte und sie selbst sich dann in Ausflüchten verhedderte. Steffi war nicht gut im Lügen, tatsächlich hasste sie die Unsicherheit, die damit verbunden war. Ihr lag daran, andere stets gütlich zu stimmen, sie hatte einen Hang zum friedvollen Miteinander, zu Harmonie und Verständnis. Aber das würde mit Claudia nicht funktionieren. Sie durfte ihr nicht sagen, was wirklich los war. Zu keinem Zeitpunkt und nie und nimmer durfte Steffi einknicken oder sich von Claudia verunsichern lassen. Wie viel wusste sie vielleicht schon? Legte sie es gerade darauf an, sie zu allem zur Rede zu stellen? Oder war sie doch noch ahnungslos?

Prüfend schaute Steffi in die dunklen Augen Claudias, die gerade näher kam. War da ein Zucken in den Augenwinkeln? War das Lächeln, das ihr Claudia entgegen brachte, echt oder lauernd? Sie konnte es nicht sehen. Dann schlossen sich die Türen am Ernst Reuter Platz und der Zug fuhr an. Steffi war nicht ausgestiegen. Claudia lächelte. „Es ist wirklich wichtig, dass wir zwei miteinander reden!“, sagte sie. Steffi spürte den kalten Atem der Kollegin.

Mit zittrigen Knien drehte sie vor der geöffneten U-Bahn-Tür um und ließ sie sich auf einen der frei gewordenen Sitzplätze nieder. „Hast Du Deine Haltestelle verpasst oder musst Du noch woanders hin?“

„Ich hätte beinahe vergessen, dass ich noch einen Termin habe.“

„ Aha, wo denn? Beruflich oder privat oder beides gleichzeitig?“ Claudia setze sich neben Steffi und musterte sie: „Siehst etwas blass aus, geht es Dir nicht gut?“

Schweigend versuchte Steffi ihre Gedanken zu ordnen. Diese fordernden Fragen beängstigten  sie noch mehr.

Sie betrachtete ihre weißen Knöchel, die den Griff der Handtasche umklammerten. Wenn sie nur sicher sein könnte, dass Udo dicht gehalten hatte.

Als könnte Claudia Gedanken lesen, fuhr sie fort: „ Und wie gefällt dir deine neue Position, als Stationsleitung? Enge Zusammenarbeit mit dem Chef,oder? “

„ Nächste Haltestelle Tiergarten, Ausstieg in Fahrtrichtung rechts.“ Bald würden sie am Hauptbahnhof angelangt sein. Steffi hoffte dann in der Menschenmenge  unauffällig verschwinden zu können.

 Sie bemühte sich ihrer Stimme einen neutralen  Klang zu geben: „Ich hab viel zu tun, aber es war eine gute Entscheidung“ Sie gab sich einen Ruck und wandte sich der Arbeitskollegin  zu: „ Warum willst Du mit mir sprechen?“

 „Kannst Du Dir das nicht denken? Man hat Euch gesehen und man kann zwei und zwei zusammenzählen!“

Steffi wurde noch blasser: „Wer hat wen wo gesehen? Wenn Du schon mit mir sprechen willst, dann bitte nicht in Rätseln!“

„Jetzt tu doch nicht so, als wenn Du  nicht genau wüsstest, was ich meine. Mut habt ihr ja schon ihr zwei. “

Steffi starrte in Richtung Tür. Wenn sie nur eine Fluchtmöglichkeit fände.

Claudia folgte ihrem Blick: „Die Zeitungen und Nachrichten kennen nur noch dieses eine  Thema...euer Thema!“  Die rotlackierten Finger ihrer verarbeiteten Hand zeigten auf den zeitunglesenden, jungen Mann, der an der Haltestange lehnte. Die Schlagzeilen der Bild am Sonntag schrieen ihnen entgegen.

„Zwei mysteriöse Todesfälle in Berliner Kurzzeittagesstätte“

Steffi las es, und ihre Unterlippe fing unkontrolliert zu zittern an. Sie versuchte tief Luft zu holen. Und dann, ganz plötzlich war die Panikattacke vorüber. Sie blickte Claudia kühl in die Augen:

„Was willst du wissen, ob ich mit deinem ach so geliebten Udo ein Verhältnis habe?“

„Das wird wohl kaum in der Zeitung stehen, nein, die Todesfälle in unserer Arbeitsstätte. Und schrei‘ nicht so laut“, Claudia zischte es in Steffis Ohren, „du weißt genau, was ich wissen will!“

Steffi hätte sich jetzt gerne eine Zigarette angezündet und Claudia langsam ins Gesicht geblasen. So ließ sie nur ein heiseres Lachen hören und fuhr sich lässig durch die Haare:

„Keine Angst, diesen Langweiler kannst du jederzeit wieder haben!“ Sie tippte Claudia an die Brust. „ Und jetzt muss ich aussteigen.“

Der Zug hielt an, und Steffi stieg betont langsam aus, ohne sich umzudrehen.

„Claudia in Schockstarre“, dachte sie, aber da hatte sie sich getäuscht. Sie hörte die schnellen Schritte, spürte den Atem in ihrem Nacken und wurde an der Jacke zurückgerissen.

„Wer glaubst du, dass du bist. Mich interessiert nur eines: Was habt ihr beiden, du und Udo mit den beiden alten Damen gemacht. Sie starben in eurer Dienstzeit!“

Um Steffi und Claudia hatte sich ein Kreis fremder Menschen gebildet, die teilweise amüsiert, teilweise schockiert um sie standen. Was ging hier ab? Zwei Frauen, die sich gleich die Augen auskratzen würden ?

Steffi und Claudia standen sich drohend gegenüber, als gäbe es nur sie hier.

„Willst du es wissen, was passiert ist?“ Steffis Stimme klang leise und heiser, aber jedes Wort wie ein Pfeil.  „Willst du es wirklich wissen?“

Claudia wich einige Schritte zurück, versuchte zu antworten, überlegte es sich, und plötzlich lief sie davon, stolperte, stand wieder auf und verschwand auf der Rolltreppe.

„Der haben sie es aber gegeben!“ Ein Mann schlug Steffi kurz auf die Schulter. Diese bemerkte es kaum, sie schwankte, ihr Herz schlug rasend schnell, die Panik war wieder da.

Sie dachte an die Worte ihres Arztes: „Bei Panik ruhig atmen, ein-aus, ein-aus, die Panik nicht verdrängen, nicht verteufeln, nein, einfach wegatmen, ein-aus, ein-aus.“ Allmählich wurde sie ruhiger. Sie würde nun nach Hause fahren, ihren geliebten Granatapfeltee aufbrühen und dann nachdenken, nachdenken, wie es weiter-gehen soll.

Steffi ging zum Bahnsteig gegenüber. Sie hatte Glück, soeben fuhr ihre U-Bahn-linie ein. Nach fünf Minuten war sie am Ziel, Ernst-Reuter-Platz. Und nach weiteren zehn Minuten zog sie ihre Wohnungstüre hinter sich zu. Endlich zuhause, endlich geschützt und abgeschirmt von der Welt.

Ihr Blick fiel in den Spiegel im Flur. Ein attraktives Gesicht sah ihr entgegen. Steffi besaß eine natürliche Schönheit. Sie benötigte keine Schminke, keine künstliche Haarfarbe. Ihr dunkelblondes dichtes Haar legte sich in leichten Wellen um ihr ovales, ebenmäßiges Gesicht. Die Augenbrauen wölbten sich im  sanften Bogen über große dunkle Augen mit dichten Wimpern, die Nase hatte eine klassisch-gerade Form. Wenn sie lachte, blitzte eine Reihe perlweißer Zähne zwischen vollen roten Lippen hervor. Allerdings sah dieses Gesicht heute ziemlich müde und abgekämpft aus. Sie musste viel arbeiten und viel Verant-wortung tragen, seit sie die Stelle als Stationsleitung übernommen hatte. Und dann war da noch die Sache mit Udo, die ihr Gefühlsleben total durcheinander wirbelte und ihr schlaflose Nächte bereitete.

Claudia war die Rolltreppe hochgefahren. Sie überquerte die Straße und lief ziellos über einen weitläufigen Platz. Ihre hochhackigen Schule klackten bei jedem Schritt. Sie musste höllisch aufpassen, dass sie mit ihren Pfennigabsätzen nicht in den Rille zwischen den Pflastersteinen hängen blieb. Sie schaute sich um:  Was tue ich hier eigentlich? Ich wollte doch in die Innenstadt fahren. Und jetzt bin ich hier gelandet, am Tiergarten. Alles nur wegen dieser blöden Kuh, dieser Hure, dieser gottverdammten Schleimerin. Aber warte, dich bringe ich zu Fall. Du wirst mir meinen Udo nicht wegnehmen. Diese zwei Todesfälle auf deiner Station, die werden dir zum Verhängnis werden. Dann landest du im Knast und mein Udo ist wieder frei.

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Hauptkommissar Roland Berger genoss den Duft des heißen Kaffees, der ihm aus der Tasse entgegen zog. Mit beiden Händen umfasste er den Becher. Es war 7:30 Uhr morgens und er blickte aus dem Fenster seines Büros der Direktion 5 in der Friedrichstraße. Das neue Gebäude war zwar ein Betonklotz und kein Vergleich zum traditionsreichen Backsteingebäude, in dem sie früher das Revier gehabt hatten, doch er blickte zufrieden auf das Grün der Außenanlagen und war froh, dass es nicht mehr so durch die Fenster zog, wie noch vor ein paar Monaten. Gerade war er versucht, die Beine hochzulegen, als seine Kollegin Barbara Kleinert zur Tür herein kam. Erschrocken ließ er die Beine auf den Boden fallen und er Kaffee schwappte ihm auf das fein karierte Hemd.

„Guten Morgen Roland, hab was für dich.“, sagte sie, und ließ zwei Akten auf den Tisch fallen. „Morgn“, war alles, was er hervor brachte, während er mit einem Taschentuch auf seinem Hemd herum wischte. Er schätzte seine Kollegin, aber es war einfach noch zu früh für richtige Arbeit. „Wasn das?“, fragte er missgelaunt. Er stellte die Tasse auf den Tisch, warf  das Tuch neben den Papierkorb und richtete sich auf. „Wir haben hier zwei Todesfälle in einem Pflegeheim. Das Ganze ist schon ein paar Tage her, aber anscheinend gibt`s da Unstimmigkeiten. Sollst mal drauf schauen, hat der Chef gesagt.“ Berger strich sich mit der rechten Hand über die Wange und seine Bartstoppeln knisterten. „Seit wann interessiert den Chef, wenn in einem Pflegeheim jemand stirbt?“, fragte Berger mit gesenkter Stimme. „Weiß nicht. Anscheinend war die zweite Tote eine Freundin seiner Mutter. Herta Brandner. Sie ist wohl vom Balkon im ersten Stock gesprungen. „Hm.“, knurrte Berger widerwillig, „Wieso ermittelt der Chef dann nicht selbst? Er hat doch neulich sogar...“ Da läutete das Telefon und Berger konnte den Gedanken nicht zuende führen, sondern hob den Hörer ab.

„Berger.“, sagte er und lauschte, dann begann er zu  grinsen. „Ach, Tach Udo, meen Bester! Wie jeets, wie stehts? Willse die Partie absachn? ...achso, ja. Keen Ding du. Ja. Du, ik muss ma wieda, heute is jehörich wat los. ...Ja, machma uff alle Fälle, du!“, sagte Berger und als er den Hörer auf die Gabel zurück beförderte, sah ihn Kleinert fragend an. „Wer war das denn jetzt?“

Berger grunzte: „ Is`n Kumpel von mir. Krankenpfleger. Spiel jede Woche Schach mit ihm.“ Dabei schlurfte er den Rest lauwarmen Kaffee und las in der Akte:

„Det jibt`s doch nicht. Mein Kumpel Udo is der Chef von dieser  Tagesbetreuung, wo diese ollen Tanten gestorben sind. Ick piss die Wand an !“

Berger ächzte, als er sich aus seinem Sessel erhob: „ Früher Morgen und nischt wie Arbeit !“

Und tatsächlich standen die beiden Hauptkommissare 40 Minuten später vor einem zweistöckigen Haus, grellgelb gestrichen und einem Schild neben der Tür: „ Mobile Altenpflege und Kurzbetreuung e.V.“

„Na, also, „Bitte Eintreten“ steht hier“. Berger schob sich hinter  seiner Kollegin durch die Türe, in einen langen Gang, der nach Essen muffelte und von Leuchtstoffröhren ausgeleuchtet wurde. In einem offenen Bereich spielte eine junge Dame ein Kartenlegespiel mit älteren Frauen.

„Kann ich ihnen helfen? Ich bin hier die Stationsleitung, sagen sie einfach Steffi zu mir.“

„Und ich arbeite auch hier, sagen sie doch einfach Claudia zu mir!“ Spöttisch klangen diese Worte, ausgesprochen von einer attraktiven Mitarbeiterin, die wie aus dem Nichts aufgetaucht war. Berger und Kleinert tauschten einen Blick. Oho, hier war Feindseligkeit greifbar. Ehe sie antworten konnten, tönte eine sonore Stimme hinter ihnen:

„Mann, Roland, dass wir uns mal dienstlich gegenüber stehen. Und das alles wegen zweier alter Damen, die das Zeitliche gesegnet haben. Hat wohl den Staub in deinem Büro aufgewirbelt.“ Udo warf seinen Mitarbeiterinnen einen warnenden Blick zu. Er drängte die Kommissare in Richtung seines Büros, als hinter ihnen erhebliche Unruhe entstand. Sie drehten sich um und sahen gerade noch, wie ein Stuhl kippte und diese Steffi den Gang in Richtung einer Hintertür entlanghastete.

„Wie damals, wie damals, als Herta einfach weg war!“ Eine grauhaarige Frau klatschte in ihre Hände und beugte sich vor und zurück, vor und zurück: „Wie damals, als Herta so geschrien hat.“

Berger tauschte mit Kleinert einen Blick.

„Ja, wie damals!“ Diese andere Angestellte, nennen sie mich einfach Claudia, warf Berger einen wutentbrannten Blick zu.

„Herta ist vom Balkon gesprungen, wie ist sie überhaupt die Treppen hochgekommen. Und Erna soll mitgesprungen sein, absoluter Blödsinn. Und beide Male hatten Steffi und Udo alleine hier Dienst! Fragen sie Udo doch mal, wer das Vermögen dieser beiden Damen erbt! Fragen sie Udo und sein Flittchen, diese Steffi, fragen sie !“

„ Flittchen, Flittchen, fragen sie das Flittchen,“ wieder klatschte und klatschte die alte Frau und wiegte sich hin und her, „Fragen sie mich !“

 

 

Es kostete Berger all seine Energie, sich nach diesem Tag der Ermittlungen, kurz vor Dienstschluss, in sein Büro zurück zu schleppen.

„Kleinert, du schreibst das Protokoll, ich bin nervlich nicht in der Lage dazu. Da spielste jahrelang mit deinem Freund Schach, und dann hat der plötzlich eine Oma, die er aus Bayern in sein Seniorenheim geholt hat. Die dann vom Balkon fällt, mitsamt ihrer Mitbewohnerin. Ich pack das nicht. Und vergessen sie die alte Frau nicht, auch wenn sie über das Wort „Flittchen“ nicht hinausgekommen ist.“ Berger schüttelte sich jetzt noch, wenn er an die Gespräche heute Nachmittag im Seniorenheim dachte.

„Wird gemacht, Chef!“ Barbara Kleinert öffnete genüsslich ihr Wordprogramm. Von ihrer Wichtigkeit überzeugt, fing sie zu tippen an. Sie würde nichts vergessen, vor allem nicht, dass die alte Frau sehr wohl über das Wort „Flittchen“ hinausgekommen war.

„ Flittchen, unsere Claudia ist ein Flittchen und Herta und Erna haben es auch gewusst. Wir alle haben es gewusst.“

Barbara Kleinert schrieb bis in den späten Abend hinein.

 

Ein grauer Dienstmorgen zog herauf. Hauptkommissarin Kleinert betrat das Zimmer ihres Chefs, der gerade, mit einem Doppel – Burger in der Hand, damit beschäftigt war, ihr Protokoll vom Vortag zu lesen.

Stolz lehnte sie sich über seinen Schreibtisch, als sie plötzlich einen heftigen Stoss von hinten bekam. Ein älterer Herr stolperte noch einen weiteren Schritt nach vorne, bevor er unschlüssig zum Stehen kam.

„Können sie nicht anklopfen?“ Berger verschluckte sich fast und wischte einige Brösel von seinem Hemd.

Der Besucher trat verlegen von einem Bein auf das andere, vergrub seine Hände in den Taschen seiner braunen Lederimitatjacke und suchte sichtlich verlegen nach Worten.

„Jetzt reden sie schon, was wollen sie hier?“ Berger versuchte seinen Ärger zu unterdrücken.

„Wegen der Oma bin i da und wegen dem Udo, was mei Bua is.“

Berger horchte auf und blickte unwillkürlich auf das Protokoll seiner Kollegin.

„Also, jetzt von vorne, um was geht es!“

„Ja, um d` Oma und um mein Udo geht’s. Ich bin der Auer Sepp, der Papa vom Udo, und i bin jetzt von Gringlberg extra auf Berlin auffa gfahrn, weil mir a gewisse Steffi geschrieben hat, dass mein Bub  Schwierigkeiten hat, weils ihm wegen der Oma was anhängen wolln, und dass er verdächtigt wird, dass er die Oma vom Balkon gstossn hat.“

„Jetzt mal langsam, sie meinen die beiden Toten Frauen aus dem Seniorenheim  Krüger ?“ Berger musterte sein Gegenüber misstrauisch.

„Ja genau, i habs dem Udo gleich gsagt, dass des a Schmarrn is, die Oma nach Berlin zu holen. In die Seniorenresidenz, ja so a Krampf. An alten Baum verpflanzt man nicht. Aber d`Tschantal, die auf mein Bub scharf wär und die sich jetzt Claudia nennt, weil sie glaubt, sie schaut aus, wie die Claudia Schiffer, ja, dass i net lach, und die hat koa Ruah nimma gebn, dass der Udo die Oma nach Berlin holt. Auf die Lebensversicherung von der Oma is scharf gwesen, des Luder. Und dass deswegn mei Udo die zwoa Frauen vom Balkon gstossn haben soll, so a Schmarrn, des dat der nie.“

„Ja, warum und wie soll er das gemacht haben,“ langsam fielen die Worte des Alten auf ihren Platz im Gehirn von Hauptkommissar Berger, „ und die Claudia heißt eigentlich Chantal und ist seine Verlobte ?“ Berger wischte sich nicht vorhandenen Schweiß von der Stirn.

Kommissarin Kleinert aber bekam rote Backen vor Aufregung:

„Ja klar, Claudia, alias Chantal, will den Udo heiraten, Aber nur, wenn er Geld hat, viel Geld. Deshalb stößt er die Oma vom Balkon, irgendwie samt Mitbewohnerin, Kollateralschaden eben. Soll natürlich wie ein Unfall aussehen, die Lebensversicherung wird ausgezahlt, er erbt und heiratet Claudia.“

Barbara Kleinert hält kurz inne, um Luft zu holen: „Und die Steffi, die Stationsleitung, hat das mitbekommen, und…“

„Jetzt sind sie endlich still, ich muss das gedanklich sortieren!“ Berger schob sich aus seinem Bürostuhl. „ Und jetzt, Kleinert, nehmen sie den Herrn Auer mit, wegen mir in die Kantine, möglichst lange.“

Eingeschüchtert nickte Kleinert, hakte den Alten unter und drängte mit ihm zur Tür hinaus.“ Bis später!“

Aber Berger hörte ihr schon nicht mehr zu.

„Udo, sein Schachkumpel, sollte ein Mörder sein ? Und alles wegen einer Frau ? Wegen dieser Claudia, vielmehr Chantal ?“ Berger schnaufte erregt. „ Und wenn es ganz anders war, welche Rolle spielte diese Steffi, hatte sie ihn beobachtet, wollte ihn hinhängen, oder erpressen ?“

Abrupt blieb er stehen. „ Oder diese Steffi war es, weil sie mit Udo ein Paar werden wollte. Oder noch besser, Claudia selber, weil Udo sich nicht traute. Es waren doch immer die Frauen, die nur ans Geld dachten.“  Und er dachte missmutig an seine eigene Scheidung, an seine Frau, die ihm den letzten Pfennig aus der Tasche geholt hatte.

Berger starrte durch das Fenster, auf den verregneten Vorplatz. Er musste Udo sprechen, dringend. Und vor allem diese beiden Frauen. Bedächtig wählte er die Nummer des Seniorenheims.

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Es würde nur noch sonnige Tage geben, mit azurblauen Himmel und einem sanften Meeresrauschen. Udo stand mit leichtem Gepäck in der Abflughalle des Berliner Flughafens. Seine weiße Jeans spannte etwas um den Bauch, verwegen hatte er sich einen weinroten Schal in den Hemdkragen gezwängt und seine Augen blickten durch eine smarte Armani Sonnenbrille. Das Schnarren auf seinem Handy riss ihn kurz aus seinen Träumen, es war Berger, der Kommissar.  Er müsse ihn, Udo, dringend sprechen.

Er lachte kurz auf, er würde ihm eine Ansichtskarte senden. Vom Pool, oder besser, vom Frühstücksbuffet. Er steckte das Handy weg und blickte etwas unruhig zum Eingang, die Abflugzeit rückte näher, Berlin – Montevideo.

Aber da kam sie, mit flottem Schritt zog sie einen lackroten Koffer hinter sich her, Angela, die Liebe seines Lebens.

Er küsste sie innig auf den Mund. Für sie würde er alles tun.

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