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Mitternacht in der Europa-Bücherei

Veröffentlicht am 23.05.2016

Der Letzte geht, die Lichter sind aus. Versteckt in der Krimiabteilung gedulde ich mich sicherheitshalber noch einige Zeit. Jetzt ist niemand mehr im Haus. Den abgestellten Rucksack hole ich hinter dem Regal hervor. Die dicke Decke, ein wärmender Tee, eine Taschenlampe und natürlich meine Schreibsachen. Es wird eine lange Nacht. Werde ich mich fürchten? Vor ein paar Wochen hatte ich eine Geschichte gehört, sie ließ mich nicht mehr los. Geschehnisse hier in der Bücherei. Jetzt bin ich hier, bereit diese zu überprüfen.

Bis 0.00 Uhr ist viel Zeit. Es gibt genug Lesestoff, ich schreibe meine Eindrücke, Gefühle genau auf. Was passiert wirklich um Mitternacht?

Sie haben von einem kleinen Jungen erzählt, der bereits Jahrzehnte hier umgeht. Sehe ich ihn? Wie reagiere ich?

Ich lege mich auf die Decke, trinke meinen Tee, bin müde. Die Geräusche der vorbeifahrenden Autos sind beruhigend. Scheinwerferlichter gleiten an den Wänden herab.

Ich friere, die Zeit vergeht. Es gruselt mich doch. Fest ziehe ich die Decke um mich. Die Kladde mit Stift griffbereit auf dem Boden neben mir.

Wie spät ist es? Ich bin müde. plötzlich schrecke ich hoch. Ein Lichtstrahl auf meinem Gesicht. Ich reiße die Augen auf, draußen ist es hell. Jetzt habe ich tatsächlich diese Nacht verschlafen.

Hastig wickele ich mich aus der Decke, will alles zusammenpacken. Da fällt mein Blick auf das Notizbuch. Was ist das? Ein Satz, in der Mitte der aufgeschlagenen Seite.

» Ich habe dir beim Schlafen zugesehen! «

Dagmar

 

Delikate Kost

Endlich sind sie weg! Das hat ja heute überhaupt kein Ende genommen. Zehn schnatternde Damen und ausnahmsweise auch ein Herr. Der Arme!

Jeden Monat sind sie hier. Komische Bande. Sitzen im Kreis und reden. Danach schreiben sie etwas auf. Und dann lesen sie. Sie lachen auch viel.

Jeden Monat ist es ein Schmaus für mich, wenn sie wieder weg sind. Wenn die Stühle zurückgestellt, die Lichter gelöscht und die Haustüre verschlossen ist.

Dann warte ich noch ein wenig. Obwohl ich es vor Appetit schon kaum mehr aushalte.

Meine Barthaare zittern, meine schwarzen Knopfaugen huschen umher und endlich lasse ich mich von meiner feinen Nase leiten. Zu den Krümeln unter dem Tisch, wo immer der Teller mit den Keksen steht. Hmmm, Schokolade! Ich liebe Schokolade. Und dann die Pfützen von Kräutertee aus den Bechern im Abfalleimer… schlürf!

Was für eine Abwechslung zu meiner sonstigen Kost: Bücher und Paperbacks. Leider meist in Folie eingeschweißt, pfui! Davon bekomme ich immer Bauchweh. Da lobe ich mir die Zeitschriften, die sind leichter verdaulich. Und die Pappschachteln, in denen die CD´s eingehüllt sind. Leider alles etwas trocken.

Heute haben die Menschen Papierbilder sortiert. Und wieder geschrieben und gelesen. Ich habe eine wenig zugesehen aus meinem Lieblingsversteck, oben auf dem Regal. Aber dann bin ich eingeschlafen. Als ich wieder aufgewacht bin, waren alle weg. Sehr schön, endlich Gelegenheit für meinen Mitternachtssnack!

Aber was ist das? Keine Krümel, kein Tee?

Schnüff, schnüff – Aber es riecht doch so gut?

Schnüff, schnüff - Woher kommt das nur?

Schnüff, schnüff – Nicht aus diesem Raum. Ah, von dort oben!

Ich springe die Treppenstufen hinauf, und hangle mich in einen anderen Raum, immer an der Verkleidung der elektrischen Leitungen entlang. Ja, hier bin ich richtig, hier wird der Geruch stärker. Ach, was sag ich: Geruch? DUFT! Lecker, ich bin im Schlaraffenland!

Meine Nase ist im Dauereinsatz, der Speichel benetzt meine Tasthaare, mein Magen macht kleine Hüpfer. Kräcker, Brotkrümel, Kekse, Trauben und Käse. Endlich wieder richtiger Käse! Ich sitze mitten auf der roten Tischdecke und vor Freude kullern dicke Tränen über meine grauen Mäusewangen. Ich kann es gar nicht fassen. Monatelang bin ich sehnsüchtig vor den Kochbüchern gesessen, die von Raclette und Käsefondue erzählen. Das Wasser ist mir im Mäulchen zusammengelaufen bei all den schönen Bildern. Aber die Seiten haben noch nicht einmal nach Käse gerochen, geschweige denn geschmeckt.

Doch heute ist alles anders. Heute futtere ich mich durch alle Krümel und Brösel, die auf und unter dem Tisch zu finden sind, solange, bis mein kleiner Mäusebauch dick und rund ist!

Gisela Aidenberger

 

 

Ringkampf im Regal

„Du stehst auf meinem Platz!"

„Steh ich nicht!“

„Doch!“

„Ich werde wohl wissen, wo ich hingehöre!“

Im Regal 21, 2. Stock der Europa Bibliothek, fauchten sich zwei Bücher aus der Abteilung: „Gesundheit, Ernährung und Wohlbefinden " derartig an, dass ihre Buchdeckel wie Kastagnetten klapperten.

Es war stockfinster, nur eine Notbeleuchtung machte ihre erhitzten Buchrücken sichtbar.

„Wenn ich eines weiß, dann dieses, dass mein Titel „Vegane Ernährung an jedem Tag der Woche“ nicht zu deinem „Wellnessempfinden in 3 Stunden" passt. Du stehst mindestens 3 Regalböden unter mir!“

„Ach nein, Wellness ist dir also zu vulgär. Ich nehme an, du würdest es nicht einmal schreiben können, wenn du mich geschrieben hättest.“

„Wenn, wenn, wenn“, aus dem Hintergrund äffte sie eine näselnde Stimme nach,  „jedenfalls seid ihr von Wohlbefinden  meilenweit entfernt !“

„Und wem gehört diese Stimme samt Weisheit ?“ tönte die „Veganerin“.

Einige Seiten aus dem Wellnessbuch raschelten beifällig, es neigte sich neugierig vor, damit ihm nur ja nichts entgehe und, zack, da war es aus dem Regal geflogen. Unsanft landete es auf seinem Rücken und lag, aufgeklappt und allen Blicken ausgesetzt, auf dem Boden.

„Ich lach'  mich tot, seht doch nur, alle Seiten sind leer in diesem Buch!“ Das vegane Buch beugte sich vor Lachen weit über den Regalrand , und flog in hohem Bogen hinunter, direkt neben seine verhasste Buchfeindin.

„Was tun sich hier für Abgründe auf “, die näselnde Stimme von vorhin war wieder  deutlich zu hören über all den wispernden Seitenstimmen der umliegenden Buchgenossen, „ich bin das Lexikon für Gesundheit, nur nebenbei. Aber in erster Linie stelle ich fest, auch die Seiten des veganen Buches sind leer, nicht ein Buchstabe ist zu sehen!“

Ratlos, ungläubig und auch schadenfroh schlugen Buchseiten, tuschelten, und ihre Buchstaben waren oft kurz davor, ihren Zeilenstand zu verlassen.

„Sehr sie euch an, das Vegane und die Wellness, nichts als Luft und leere Seiten. Aufgeblasen und nichts dahinter. Wisst ihr alle, was das einzig Wahre ist? Schweinebraten mit Knödel und ein Bier dazu!“ Das Bayrische Kochbuch aus dem Jahre 1935 klappte seine Buchdeckel auf und zu und erhielt donnernden Applaus.

Ursula Ziemsen

 

 

 

Rosis Geheimnis

Ich kam gerne in das Haus der Bücher, wie ein Magnet zog es mich an.  Es roch nach altem Papier, die Dielen knarrten beim darüber Gehen, zum Teil anheimelnd, aber auch ein wenig unheimlich. Leiser Verkehrslärm drang durch die geschlossenen Fenster. Es war ein Ort der Ruhe und der Entspannung. Doch immer wenn ich hier war, verspürte ich auch ein leichtes Ziehen in der Herzgegend, das ich mir beim besten Willen nicht erklären konnte. 

Ich hatte viele Regale durchsucht und trug einen ganzen Stapel Bücher, die ich ausleihen wollte, mit mir herum. In einer Leseecke ließ ich mich nieder und begann schon ein wenig zu schmökern. 

Draußen brach die Dunkelheit herein, doch das fiel mir erst auf, als ich die Schrift nicht mehr entziffern konnte. Ich wunderte mich, dass kein elektrisches Licht an war und so machte ich mich auf den Weg ins Erdgeschoß. Niemand saß am Schalter und auch auf mein Rufen hin kam keine Antwort. 

Ich mußte wohl oder übel der Tatsache ins Auge sehen: Man hatte mich eingeschlossen. Die Tür ließ sich nicht öffnen und mein Handy lag im Auto. Nun hätte ich ja aus dem Fenster um Hilfe rufen können, doch mit Grausen stellte ich mir diesen Aufruhr vor. Polizei, vielleicht auch Feuerwehr und vielleicht unterstellte man mir sogar einen Einbruch. Nein, diese Situation war mir einfach zu peinlich, sodass ich mich lieber darauf einstellte hier zu übernachten und vielleicht gelang es mir ja auch  morgen Früh, klammheimlich zu verschwinden. 

So durchstreifte ich die Räume und fand im 2. Stock auf der Veranda eine Couch die mich zum hinlegen geradezu einlud. Auch eine Wolldecke fand ich, in die ich mich einrollte. So würde ich die Nacht schon überstehen. Inzwischen war es 23 Uhr und ich war rechtschaffen müde. Meine Augen fielen zu und ich schlummerte ein.

Doch aus tiefem Schlaf schreckte ich auf. Waren das nicht Schritte, die ich gehört hatte? Angestrengt lauschte ich in die Dunkelheit. Die Dielen gaben ein knarrendes Geräusch von sich. 

Ich versuchte mir selbst Mut zu zureden, denn wahrscheinlich waren das nur die Geräusche des alten Hauses. Früher war das ganze Gebäude ja mal eine Klinik und dieser Trakt, in dem nun die Bücherei untergebracht war, war die Entbindungsstation.

Langsam beruhigte ich mich wieder. Doch als ich gerade wieder eindämmern wollte, war mir als hörte ich das Tapsen bloßer Füße und dann, ganz nah bei mir, heftige Atemgeräusche.

Ich fuhr hoch und lauschte. Die Straßenbeleuchtung tauchte den Raum in ein fahles Licht, ich kam mir vor wie in einer Unterwasserwelt. Ich richtete mich auf, sah mich um und da sah ich sie. 

Eine junge Frau stand in der Tür und weinte. Betroffen lief ich zu ihr hin und fragte, was denn los sei und ob ich ihr helfen könne. Doch sie starrte  nur und ihr irrer Blick schien durch mich hindurch zu gehen. Schweißnasse Haare hingen ihr in die Stirn und irgendwie kam sie mir bekannt vor. Sie war nur mit einem Krankenhaus Hemd bekleidet das ganz mit Blut besudelt war. Als ihr Blick mich schließlich erfasste, begann sie zu schreien: “Gib es sofort wieder her, gib mir sofort mein Kind zurück!”

“Aber was soll denn das, was denn für ein Kind?” fragte ich.

Wütend begann sie mit ihren Fäusten auf mich einzutrommeln. Ich hob meine Arme um mich zu schützen, doch es gelang mir nicht. Sie war wie wahnsinnig und schlug in einem fort auf mich ein. Dabei schrie sie die ganze Zeit nach ihrem Kind. 

Doch auf einmal wurde ihr Blick ganz weich, sie nahm mich in die Arme, klammerte sich an mich, nein, krallte sich regelrecht an mir fest und flüsterte: “Endlich!”

Eine große Blutlache hatte sich inzwischen um sie gebildet. Ich wusste nicht was ich tun sollte, so riss ich mich von ihr los und rannte entsetzt in die Toilette. Dort sperrte ich mich ein und zog die Füße hoch. So saß ich noch lange und lauschte gespannt in die Dunkelheit. Doch erschöpft nickte ich nach einer Weile ein.

Als ich erwachte war es heller Tag, ich lag auf der Veranda auf der Couch und die Bibliothekarin rüttelte an meiner Schulter. Ich erklärte ihr, dass man mich gestern eingesperrt hatte und erzählte auch von meinem nächtlichem Erlebnis. 

“Aber ja”, sagte sie, “das war die Rosi, die hat vor vielen Jahren, als das noch ein Geburtshaus war, hier entbunden und ist bei der Geburt ihres Kindes gestorben. Seitdem weizt sie immer zum Jahrestag durch die Räume und sucht ihr Kind. Heute jährt er sich zum 60sten Mal. Und immer müssen wir auch den Blutfleck wieder entfernen” und dabei deutete sie auf die Blutlache, die sich vor der Veranda ausgebreitet hatte. 

Ein Schauer lief mir über den Rücken, denn urplötzlich fiel mir ein, was meine Adoptivmutter mir erzählt hatte. Dass ich nämlich vor genau 60 Jahren in dieser Klinik das Licht der Welt erblickte und meine leibliche Mutter bei meiner Geburt gestorben war und auch, dass sie mit Vornamen Rosi hieß.

Elisabeth Fischer

 

 

Mitternachtsparty

Trapp, trapp, trapp … leise öffnet sich die weiße Haustür der Europabücherei.  Lesezwerg Harry, hat – wie immer mittwochs – die Passauer Feen zur Mitternachtsparty eingeladen.

Die kleinen Feen, mit Lizzie ganz vorne, stehen pünktlich vor der weit geöffneten Tür.  Ihre hauchzarten Flügel leuchten durchsichtig im Licht der Straßenlaterne, die blonden Ringellöckchen fallen auf ihre Schultern und die durchscheinenden Kleidchen schwingen bei jedem Tippelschritt.  Sie freuen sich auf das Fest, das immer dann stattfindet, wenn die schreibwütigen Damen und Herren aus Gesine’s Schreibwerkstatt die hohen Räume verlassen haben und die stummen Bücherreihen nicht mehr die Dekoration für ihre Geschichten darstellen.

„Lizzie, ich freue mich ja so, dass du zur Boogie-Nacht kommst“, meint Harry entzückt. „Ich bitte Dich um den ersten Tanz. Kommen Sie herein, meine Damen!“ 

Die Herren Lesezwerge krabbeln in ihren dunkelblauen Pumphosen und gelbkarierten Hemden kurz vor Mitternacht aus ihren Büchern, warten sie doch sehnsüchtig auf die Feenladies, die gerade  kichernd die Treppe heraufkommen.

Im ersten Stock läuft bereits der CD-Spieler mit Rock `n Roll-Musik aus Elvis‘ Zeiten.  Jürka fehlt noch aus den „modernen ungarischen Erzählungen“ und Hercule Poirot, der kleine Krimizwerg kann sich gar nicht von Agatha Christie trennen.

123 456 78, so geht der Boogie-Schritt, links gedreht und Überschlag.

Harry und Lizzie, die Fee aus dem Klostergarten, genießen jeden Augenblick zusammen. „In the  Ghetto“ löst den Boogie ab und die Paare tanzen federleicht eng aneinandergeschmiegt. Die Gewänder wehen leise zur Musik.

Die Kirchturmuhr schlägt fünf Uhr. „Husch, husch!“ Die Party ist zu Ende. Im Wasser der Donau spiegelt sich in zartem orange die aufgehende Sonne. Die Feen tauchen schnell in den Passauer Morgendunst ein, während Harry noch schnell ein Küsschen auf Lizzies Wange haucht, bevor sie unsichtbar werden.

Jürka, Hercule und die anderen Lesezwerge schlüpfen zurück in ihre Bücher. Sieben Tage schlafen und dann …, wenn die kreative Schreibnacht beendet ist, beginnt am kommenden Mittwoch das Bierfest mit bayerischer Volksmusik und Humtata.  Lizzie tanzt so gerne Polka.

Trapp, trapp, trapp – Harry klettert in sein Buch, schlägt den Deckel zu. Stille herrscht jetzt nachts in den ehrwürdigen Räumen – bis zum nächsten Mittwoch.

C. Fischer

Die Texte entstanden in der Kreativen Schreibnacht "Fantasie hoch Fünf - fünf Jahre Schreibwerkstatt Passau" am 3.5.2016

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