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Kratzspuren an der Tür

Veröffentlicht am 18.03.2024

Gruselig erzählen heißt: Das Unheimlichste geschieht im Kopf der Leser*innen. Etwas nur anzudeuten, ist sehr wirkungsvoll: ein Blutstropfen auf dem Boden, ein heiseres Lachen aus der Kammer. Herrliche Gruselgeschichten entstanden in der gleichnamigen Schreibnacht 

Besucher in der Nacht

Ein dumpfer Knall. Ein kalter Luftzug. Geruch nach Rauch und Wachs.

Ich schrecke hoch aus meinem Sessel. Um mich herum ist es düster. Das Fenster zur Terrasse steht plötzlich sperrangelweit aut. Ich schaue mich um, vorsichtig. Auf leisen Sohlen gehe ich zum Fenster.

In der Ferne kommt eine große Dunkelheit auf mich zu. Die Äste der Bäume bewegen und biegen sich weiter draußen. Es ist still, totenstill. Kein Vogel singt.

Ich schlucke, starre hinaus. Von fern höre ich dumpfes Donnergrollen. Es war wohl der Wind, der das Fenster aufgestoßen hat. Langsam ziehe ich mich zurück; will die Kerze am Tischchen neben mir wieder anzünden. Auch die hat sicherlich der Wind ausgeblasen.

Hinter mir ein Splittern von Glas; Dazu ein Geräusch von Murmeln, die auf Steinboden hageln.

Entsetzt drehe ich mich um. Meine Kehle ist wie zugeschnürt. Ich erhasche noch einen Schatten, der aus dem Fenster stürzt.

Am Boden wackelt mein Feuerdrache. Eine kleine Figur aus Metall, mein Glücksbringer, der seinen Platz auf dem Fensterbrett hat. Er leuchtet in der Dunkelheit.

Was war das? Wer war da in meinem Zimmer?

Ich zittere. Dann schließe ich das Fenster.

Der Donnerhall kommt näher. Ein Blitz zuckt herab. Der Regen prasselt hernieder.

Schnell ziehe ich die Vorhänge zu. Taste mich zurück zum Tischchen und zünde die Kerze an.

Die Porzellanschale liegt auf dem Boden, zersprungen in unzählige Stücke. Die Haselnüsse sind bis in alle Ecken verstreut …    Renate Riendl

 

Frau Klingenbein 

„Kommt doch mit“, versuche ich meine Kinder zu motivieren. Aber keine Chance. Das liegt sicher zum einen daran, dass sie in der Pubertät sind und sie sich für alles andere interessieren als neue Nachbarinnen über 40 in unserem Haus. Oder war sie eher 60? Es war wirklich kaum zu schätzen. Aber es lag nicht nur daran.

            „Ne, die ist komisch“, findet meine Tochter.

Wo sind nur 14 Jahre Erziehungsarbeit geblieben, frage ich mich. „Du kennst sie doch gar nicht, gib ihr eine Chance“, bemühe ich mich, um zu hören, dass Frau Klingenbein komisch riecht, komisch aussieht, seltsame Geräusche aus der Wohnung kommen und ´Klingenbein´ überhaupt ein komischer Name sei. Nichts zu machen. Eine Stunde später bin ich dankbar für meine vernünftigen Kinder, die ihrem Instinkt folgen, statt auf den verkopften Werte-Unsinn ihrer Mutter zu hören.

Entgegen jedes Bauchgefühls klingele ich mit einem Teller Kuchen in der Hand bei Frau Klingenbein. Die Dame unschätzbaren Alters wohnt hier seit ein paar Tagen. Sie hat lange spinnenartige Gliedmaßen und ihr Teint geht in Richtung lila. Aber für sein Äußeres kann ja niemand etwas, sage ich mir selbst und klingele nochmal. Als ich schon ein irritierendes Gefühl von Erleichterung darüber wahrnehme, dass sie wohl nicht da ist und mit gutem Gewissen wieder umdrehen möchte, öffnet sich die Tür mit einem leichten Knarzen. Ein unbekannter Geruch strömt aus der Türritze, irgendwie rauchig, stinkend, gelblich und giftig.

            „Ohh“, begrüßt mich die neue Nachbarin sichtlich überrascht und wirkt belustigt. „Wen haben wir denn da, welche Ehre.“ Ihr Tonfall hat einen leicht ironischen Klang. Sie blickt aus silbrig glänzenden Augen aus dem gelblichen Rauch heraus. Solche Augen habe ich noch nie gesehen, ich kann nicht aufhören, sie anzustarren. Der Augapfel scheint wechselnd silbrig und golden, auch durchsichtig. Ich habe das Gefühl in eine bodenlose gründe Tiefe zu blicken und sehe beim Näherkommen doch nur mein eigenes Spiegelbild.

            „Ich wollte Ihnen nur den Kuchen bringen“, schwindele ich. Eigentlich hatte ich vor, ihn mit ihr gemeinsam zu essen. Mitten im Satz stocke ich. Sie lächelt diabolisch, winkt mich mit einem Spinnenfinger in ihre Wohnung und ich kann gar nicht anders, als ihr zu folgen.

            „Wie schön“, knarzt Frau Klingenbein und führt mich durch ihre vollständig abgedunkelte Wohnung weg von der Rauchquelle in eine Art Wohnzimmer. „Damit hatte ich gar nicht gerechnet.“ Unweigerlich erscheint das Bild einer Spinne vor meinem inneren Auge, die einen dicken Brummer in ihrem Netz entdeckt, obwohl es Winter ist und kaum Fliegen unterwegs sind.

Aus dem hinteren Teil der Wohnung ist ein Wimmern zu hören. Ich reiße die Augen auf und kralle mich an meinem Kuchenteller fest. Ein Hauch von Ärger ist in Frau Klingenbeins Augen erkennbar, dann weicht er schon wieder einem silbrigen Glitzern.

            „Setzen Sie sich“, weist sie gebieterisch auf einen tiefen schwarzen Sessel, „ich bin gleich wieder da.“ Frau Klingenbein verschwindet im gelben Rauch.    Brita Betz

 

Ohne Titel

Seit einer Woche bin ich nun in meiner neuen Wohnung. 4. Stock, ohne Lift, na ja ein altes Haus, aber mit Flair. Ich habe 7 Flaschen Prosecco besorgt und begebe mich auf Vorstellungtour. Dann fang ich doch gleich mal in der Wohnung mir gegenüber an.    
Nach zweimaligem Klingeln höre ich schlurfende Schritte, die sich der Tür langsam nähern. Eine heisere, nicht wirklich freundliche, Stimme fragt: „wer da?“ „Ich bin die neue Mieterin von nebenan“ antworte ich und bemühe mich freudig zu klingen. Die Kette wird zurückgeschoben und die Tür öffnet sich einen Spalt breit. Ich blicke in ein graues, runzeliges Gesicht, das mich mit Missfallen beäugt.             

 „Ich möchte mich gern vorstellen“ stammle ich jetzt nicht mehr ganz so freudig. Die Tür öffnet sich weiter und ein dumpf muffiger Geruch schlägt mir entgegen. Ich ringe eine leichte Übelkeit nieder und trete ein und sogleich stockt mir der Atem – eine riesige Katze starrt mich aus toten gelben Augen an. Ich weiche zurück, doch der Alte merkt nur lakonisch an: „das ist Bodo“.           

Als ich weiter in die Wohnung hineingehen will, dreht er sich blitzschnell, wie man es ihm gar nicht zutrauen würde, um und schließt die Wohnungstür von innen ab. Den Schlüssel lässt er in die Tasche seiner verbeulten, fleckigen Hose gleiten.                                                           

Meine Nackenhaare beginnen sich aufzurichten und mein Herzschlag beschleunigt sich. Trotzdem gehe ich tapfer weiter in die dunkle, einer Höhle gleichenden, Behausung hinein und betrete das Wohnzimmer. Die schmutzig-braunen Vorhänge sind zugezogen, eine dicke Staubschicht bedeckt das uralte, schwere Interieur. Und dann fällt mein Blick auf den Schaukelstuhl in der Ecke. Ein sanftes Vor und Zurück wiegt die schmale, weißhaarige Person, die ich nur von hinten sehe. Als ich näher trete gefriert mir das Blut ……..    Marion Ostner

 

 

Die alte Schule

Der Gastwirt in Trawlee hatte ihr von der alten Schule erzählt, die gleich hinter dem Wäldchen lag. „Müssen Sie sich anschauen, viktorianischer Stil“, sagte er. Sie stünde schon seit einigen Jahrzehnten leer, könne aber besichtigt werden. 

Jetzt stand sie davor. Sie bewunderte den in der Abendsonne gelb leuchtenden Sandstein, die schönen Gipsrosetten über den Fenstern und die Statuen, die meisten von ihnen geköpft.

Es dämmerte schon, sie sollte besser umkehren, dachte sie. Aber als sie die Hand auf die kunstvoll geschmiedete Eisenklinke der herrschaftlichen Türe legte, senkte sich diese geschmeidig unter ihren Fingern. Die Tür sprang auf. 

Im Gang herrschte Zwielicht. An den Wänden zwischen den Türen, die wohl zu den Klassenzimmern führten, hingen große Portraits in vergoldeten Rahmen. Sie kam sich sehr klein vor, als sie zu all diesen Männern hinaufschaute, mit ihren Backenbärten, mit stechenden Augen hinter Monokeln  und den hochmütigen Mündern. Die Hemdkrägen unter den förmlich wirkenden Jacketts waren hochgeknöpft, was sie besonders streng aussehen ließ. 

Das letzte Portrait schien jüngeren Datums zu sein. Der Mann trug lediglich eine Krawatte und hatte auffällig große Ohren mit langgezogenen Ohrläppchen. Ein verächtlicher Blick traf sie. Die schmalen Lippen waren zu einem grausamen kleinen Lächeln gekräuselt. 

Iris schrak zusammen, als sie das Klicken der Haustüre hörte, die ins Schloss fiel. Ein leises Geräusch nur, aber in der Totenstille der alten Schule reagierten ihre Hörnerven besonders empfindlich. Nun war es fast dunkel im Flur, der Mond schien lediglich durch das Rundbogenfenster am Ende des Gangs über ihr. 

Iris spürte, wie sich ihre Nackenhärchen aufstellten. Jetzt war es genug, schnell weg von hier, dachte sie – und blieb wie angewurzelt stehen. Ein leises Wimmern war aus diesem letzten Zimmer zu hören, als ob ein Kind schluchzte. Sie schluckte, horchte nochmal und schüttelte den Kopf. Nein, das war nicht möglich. Geh‘ endlich, Iris, sagte sie sich, wandte sich energisch um und verharrte erschrocken. Unter ihren Füßen splitterte und knirschte etwas. Es war ein Geräusch, als ob feine Knöchelchen zermalmt würden, und ging ihr durch Mark und Bein. 

Entsetzt schaute sie nach unten und atmete die Luft stoßweise aus, als sie sah, dass sie auf ein leeres Schneckenhaus getreten war. Beinahe hätte sie gelacht. Noch einmal drehte sie sich um. War da ein Flüstern hinter der Tür zu vernehmen? Der Schweiß brach ihr aus, als sie die Tür musterte. Der Lack war zerkratzt worden, so als ob jemand seine Fingernägel verzweifelt hineingekrallt hätte. 

Es half nichts! Wenn sie heute Nacht nicht schlaflos in ihrem Bett liegen wollte, musste sie hineinschauen. Zögernd bewegte sie ihre Hand zum Türgriff, als diese sachte aufging. Im Gegenlicht des vollen Mondes, der das Zimmer in blau schimmerndes Licht tauchte, sah sie die Silhouette eines Mannes stehen. Er hatte auffällig große Ohren mit lang gezogenen Ohrläppchen.  „ Kommen Sie herein, wir haben sie erwartet“, sagte er mit leiser, aber durchdringender Stimme, griff nach ihrer Hand und zog sie kraftvoll in den Raum. Mit einer schnellen Bewegung schloss er die Türe und drehte den Schlüssel im Schloss um.  

Gesine Hirtler-Rieger 

 

Folienträume

23 Uhr – Sie stieg aus der Badewanne und betrachtete ihre weiß gesprenkelte Haut. Mit Bürste und Bimsstein rieb sie müde die letzten Farbreste von den geschundenen Händen.
Endlich hatte sie es geschafft, die mit den Jahren verblichenen Wandfarben der Schlafzimmer zu übertünchen.
„Der Rest kommt morgen dran“, murmelte sie und schob die knisternde Malerfolie, mit der sie alle Türen und Möbel verhängt hatte, zur Seite. Sie tastete sich in ihr Bett, fühlte bleierne Müdigkeit in den strapazierten Knochen. Das stundenlange, monotone Bewegen der schweren, vollgesaugten Malerrolle, dabei mit Hilfe der Staffelei ständig auf- und absteigen zu müssen, hatte ihre Kräfte überfordert. Unruhig fiel sie in einen leichten Dämmerschlaf.
Es war wohl das Schlagen der Kirchturmuhr, das sie weckte oder vielleicht auch die sanfte Berührung, die sie zu spüren vermeinte. Sie öffnete die Augen. Vollmond, sein Licht ergoss sich über das breite Bett, in dem sie vom Schlaf noch benommen reglos verharrte.

„Psst, sch, sch… „Nun war sie hellwach, richtete sich auf, lauschte angestrengt in das Mondlicht durchflutete, leer geräumte Zimmer. Sie vernahm das Flattern der dünnen Malerfolie, ein seltsames Knistern oder das Tapsen unbekannter Füße? Was war das?

„Die Terrassentür“, panikartig überfiel es sie.

Sie hatte vergessen die Terrassentür zu schließen. Wegen des Geruchs der Malerfarbe hatte sie beide Flügel weit geöffnet.
Sie fühlte Angst in ihrem Bauch schwer, gleich einem hinein katapultierten Stein. Beklemmende Enge umspannte ihren Brustkorb, drückte ihn zusammen. Sie wagte kaum zu atmen, lag einfach nur steif und starr. Dann nahm sie allen Mut zusammen, stieg aus dem Bett und betrat den Gang. Milchig leicht flatternde Folien verbargen die Türen, die von hier aus in die Zimmer führten. Wisperten knisternd: „Hier, hier bin ich“ Ein Luftsstoß ließ die dünnen Häute wie von Geisterhand bewegt hin und her schweben.
Sie roch den strengen Geruch der Malerfarbe. Doch da war noch ein anderer Geruch: dumpf, modrig, ein frostig kühler Hauch streifte sie.
Zitternd vor Kälte, aber vielleicht auch vor Angst, setzte sie Fuß vor Fuß, schob die letzte dünnhäutige Folie zur Seite und stand in dem leergeräumten Terrassenzimmer. Das Licht des vollen Mondes warf gespenstische Schatten an die Wand. Gleich einem gähnendem Maul klaffte ihr die geöffnete Terrassentür entgegen.
Die aus dem Schlaf Gerissene wandte sich entsetzt um, als die an der Terrassentür leicht angeheftete Folie raschelnd auf sich aufmerksam machte. Kläglich säuselnd legte sich die milchig Durchsichtige um die Hausherrin. Die Hand dem Griff der Terrassentür entgegengestreckt sank sie auf den kühlen Boden. Das Licht des vollen Mondes bedeckte sie in der Stille der Mitternacht.                       Doris Kronawitter

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