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Reiselustige Socken

Veröffentlicht am 09.06.2022

Socken verschwinden gerne mal, in der Waschmaschine oder in der Dunkelheit des Schranks. Vielleicht haben sie einfach die Nase voll von ihrem Besitzer, wandern aus und wollen endlich mal etwas erleben? Hier kommen zwei Geschichten dazu.

Mindys Abenteuer

Mindy rollte sich genüsslich in Omas Stopfkörbchen zusammen. Die Großmutter hatte die kleine Socke aus bunter Wolle in orange, rot, braun und beige gestrickt und ihrer Enkelin geschenkt. Mindy liebte ihr Zuhause und sie liebte ihre Belinda. Nie würde sie diese verlassen.

Doch wie so oft, funkte das Schicksal dazwischen!

Eines Tages hatte Belinda das Stopfkörbchen ans offene Fenster gestellt. Plötzlich fegte ein heftiger Windstoß über das Körbchen, hob die zutiefst erschrockene Mindy aus ihrem behaglichen Heim und trug sie hinweg, hinein in den großen, alten Kirschbaum.

Ängstlich sah Mindy um sich: überall war es grün, es zwitscherte! Was war das für ein Duft? Es roch so fruchtig!

Vielleicht war es gar nicht so übel, mal was anderes zu sehen und zu erleben, als immer nur im engen, muffigen Körbchen zu hocken.

„Wie schön ist doch die Freiheit! Einfach mal spazieren gehen zu können!‘, dachte das Söckchen. Doch wo sollte es hingehen? Nach oben, nach unten, nach rechts oder vielleicht nach links oder irgendwo dazwischen?

„He, pass auf, wo du hintrittst!“, hörte Mindy auf einmal jemanden sagen.

Erschrocken hob sie ihre Ferse hoch. Unter ihr lugte eine saftige, dunkelrote, pralle Kirsche hervor.

„Entschuldige“, stammelte die Socke und sah das tiefrote Ding genauer an:

„Sag mal, du wohnst doch hier!“

Die Kirsche nickte.

„Wo soll ich denn am besten spazieren gehen?“, fragte Mindy.

Das kleine, runde Obst antwortete prompt:

„Also, ich würde mich einfach fallen lassen. Am Boden gibt es viel zu entdecken. Und hier oben, fressen einen nur die Stare!“

Das leuchtete Mindy ein. Sie überlegte nicht lange und sprang erwartungsvoll hinunter, mitten hinein in die grün-bunte Wiese.

Endlich! Die grenzenlose Freiheit!

Doch die Kirsche und die kleine Socke hatten die Rechnung ohne die schwarz-weiß gestreifte Hauskatze und deren Spieltrieb gemacht. Die Kirsche hatte nicht die geringste Ahnung, da Katzen bekanntlich keine Kirschen mögen und Mindy hatte den Stubentiger bisher noch nicht kennen gelernt.

Für das Haustier war die Ringelsocke ein begehrliches, herrlich weiches Spielzeug. Das Söckchen wurde mit Krallen gepackt. Fangzähne zerrten an seinem feinen, wollenen Strickgewebe. Es wurde hin- und hergezogen und hochgeworfen. Samtpfoten sprangen auf ihm herum, um dann sofort wieder scharfe, spitze Krallen ins Gewebe zu versenken.

Mindy wurde es wirr im Kopf:

„Ach wie schön wäre es doch, wieder in ihrem muffigen Stopfkörbchen zu sein und von den zarten Händen Belindas gestreichelt zu werden!“, schluchzte sie sehnsüchtig.

Auf einmal hielt die Katze mitten im Sprung inne. Die Socke steckte in der Kralle fest.

‚Das ist das Ende! Jetzt werde ich wohl gefressen!‘, ging es Mindy durch den Kopf.

Mit der Socke in der rechten Pfote verkeilt, tigerte die Katze ins Haus. Belinda hatte ihr nämlich den Futternapf in den Flur gestellt.

„Oh, was hast du denn da am Bein?“, sagte Belinda. Sie bückte sich und hielt ganz verwundert, die kleine Socke in die Höhe:

„Na, so was! Welche Geschichte wohl hier dahintersteckt!“, meinte sie lächelnd. Sie streichelte sanft das Söckchen und ging damit in ihr Zimmer. Dort legte sie Mindy zurück in das Stopfkörbchen.

Die kleine Socke rollte sich zusammen. Sie genoss es, in der vertrauten, wohligen Umgebung zu sein.

„Daheim ist es doch am schönsten“, dachte sie und schlief ein.                              Renate R.

           

 Die Verwandlung

„Bruder, hallo Bruder! Warum sagst Du nichts?“ Bruder Socke Der Linke hing schlaff an der Wäscheleine. Socke Der Rechte wartete den nächsten Windstoß ab. Er blähte sich auf, soweit er es konnte und streckte sich seinem Bruder entgegen. Mit Hilfe einer weiteren Böe gelang es ihm, den schweigsamen Linken mit dem weit ausgestrecktem Vorderlauf seines eingewebten, blauen Pumas zu streifen.
Der so angeschubste Linke öffnete mit Mühe sein grau gestreiftes Maul. Entsetzt erkannte nun sein Bruder Der Rechte das Ausmaß der Katastrophe.

„Ich bin am Ende“, stöhnte der neben ihm  hängende Linke. „Nun werden sich unsere Wege trennen, Bruder. Die Hornhaut der ungepflegten Füße unseres Herrn ist mir zum Verhängnis geworden. Dünnhäutig bin ich geworden, kann so nicht durchs Leben gehen. Ich fühle, das Zeitalter der Auftrennung ist nah. Leb wohl mein Bruder, leb wohl.“

 Ein ausgefranstes, hässliches Loch an der Ferse des geschundenen Linken gähnte  Socke Dem Rechten entgegen. „ Aber was soll dann aus mir werden?“ flatterte dieser angstvoll einer sanften Frühlingsbrise zu.

Auf Antwort wartete er vergeblich. Nella, die Haushälterin hatte beim Abnehmen der Wäsche das Desaster bereits entdeckt. “Bruder, Bruder, kämpfe, verlass mich nicht!“

Doch der Gelöcherte verschwand stumm in Nellas Schürzentasche: “Tja, und du taugst noch als Ersatzsocken. Mal sehen, vielleicht finden wir ja in der Kommode der Herrschaften noch so einen Einzelgänger“.

Nun lag der Verlassene auf dem Wäscheberg zuoberst. So sehr er sich auch bemühte, sein Logo für seine Zwecke zu nutzen und mit dem Angriffssprung des hellblauen Pumas Bedrohlichkeit zu präsentieren, Nella blieb unbeeindruckt. Socke Der Rechte musste hilflos mitansehen, wie Nella seinen Bruder in den Altkleidersack stopfte. Ihn selbst legte sie auf die Kommode mit den vielen Schubladen.


Gründlich durchsuchte Nella nun jede Schublade, zog ein Sockenpaar nach dem anderen heraus, um einen passenden Single für Socke Den Rechten zu finden. „Hab ich es doch gewusst!“ Triumphierend  hielt sie eine weiße Damensocke, zwischen Daumen und Zeigefinger hoch. Sorgfältig legte sie diese neben den verlassenen Rechten. „ Mist, du bist ja ein Sneaker und bei dir ist das Bündchen viel zu lang. Ihr werdet nie gemeinsam durchs Leben gehen, da beißt die Maus keinen Faden ab.“ Verärgert knüllte Nella die beiden unterschiedlichen Weißen zusammen und schleuderte sie in den weit geöffneten Schlund des Altkleidersackes.

Es war ein grauer Herrenpullover, der die beiden von dem Wurf recht benommenen Füßlinge dort mit offenen Armen empfing. Mit einem freudigen „Herzlich Willkommen“ begrüßte er die Neuankömmlinge. Mit neugieriger Zehenspitze blinzelte Socke Der Linke aus dem schlappen Rollkragen des großen Grauen. Warm wurde ihnen um ihr Sockenherz, als sich Socke Der Rechte und eine Damensocke an die fusselige Herrenbrust kuschelten. Als der große Graue seine ausgeleierten Strickarme um sie legte, strich Damensocke verschämt über seine verwaschenen Knöllchen. Zärtlich berührte ihre Zehenspitze die durchgescheuerten Stellen. Ein Gefühl von Liebe und Geborgenheit breitete sich in dem Altkleidersack aus, als Nella dessen Zugbänder mit einem Ruck zuband.

Dunkelheit legte sich über die Verstoßenen. „Mami“, flüsterte da Socke Der Linke. Er hatte sein Kragenloch verlassen und sich zwischen Damensocke und Bruder Socke Den Rechten gedrängt. “Du riechst nach meiner Mami, du bist unsere Mami!“ Laufmaschen des Glücks liefen der wiedergefunden Sockenmama über den Sockenschaft, als sie ihr Bündchen  um ihre Kinder legte
„Ja,  meine Kinder, meine liebe Frau. Welch‘ großes Glück wir noch erleben dürfen in unseren zerschlissenen Tagen“, sprach da der große Graue mit ernster Stimme.

„Doch eine schwere Prüfung steht uns noch bevor. Wir werden noch einmal durch eine schmerzhafte Prozedur getrennt. Nicht nur das, wir müssen aufgetrennt werden“ - „Aufgedruselt“ rief entsetzt Frau Socke, „und meine armen Kinder?“ -  „Ja, meine Liebe, auch sie. Doch habt keine Angst, denn wir sind aus einem Stoff, robust und widerstandsfähig. Wir gehören der Familie der Baumwolle an. Wenn wir diese Prüfung der Auftrennung und Entwirrung hinter uns haben, wird uns ein wohltuendes Farbbad Erneuerung bringen. Es wird uns auf unsere neue Aufgabe vorbereiten und wir werden zu einer gemeinsamen Bestimmung gelangen.“

Und so geschah es. Herrenpullover, Damensocke und die Sockenbrüder ertrugen tapfer die Prozedur. Als fünf Zentimeter lange Baumwollfäden in gediegenen Farben fanden sie sich bei  dem Fortbildungskurs der VHS „Knüpfen mit Kunst“ wieder. „Der arme Poet“ in Baumwolle wurde seither von vielen Besuchern bewundert. Und keiner ahnt dass sich in diesem Bild Ursprung und Herkunft einer wärmenden Familie verbergen.

 Doris Kronawitter

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